Selbstschädigendes Verhalten
Thema des Monats Juli 2015
Selbstschädigendes Verhalten während der Pubertät – wie „Ritzen“ oder häufiges Betrinken – kann ein erstes Anzeichen einer psychischen Erkrankung sein. Wie man dies sicher erkennt und den Gefahren für eine gesunde psychische Entwicklung gegensteuert bzw. psychische Störungen bereits im Ansatz effektiv behandelt, untersuchen Psychologen und Ärzte der Ambulanz für Risikoverhalten und Selbstschädigung „AtR!Sk“ der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg. Die im Mai 2013 gegründete Spezialambulanz ist deutschlandweit einmalig und wurde bislang von rund 300 Teenagern und ihren Eltern aufgesucht. Sie bietet eine umfassende und evidenz-basierte Beratung und Therapie. Forschungsziel von AtR!Sk ist zum einen, die Wirksamkeit des innovativen ambulanten Versorgungskonzepts mit offener Sprechstunde – für den ersten Besuch braucht man keinen Termin -, kurzen Wartezeiten und neuen, speziell entwickelten Therapien zu überprüfen. Die Dietmar Hopp Stiftung unterstützt Forschungsarbeiten im Rahmen von AtR!Sk zu Früherkennung und Therapie psychischer Störungen bei Jugendlichen mit rund 210.000 Euro.
Rund ein Drittel der Jugendlichen in der Pubertät neigt zu riskantem und sogar selbstschädigendem Verhalten: Das reicht vom häufigen Betrinken und Experimentieren mit Drogen über die exzessive Beschäftigung mit Online-Spielen bis hin zu Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen. Manchmal gehören bestimmte Risikoverhaltensweisen zum normalen Entwicklungsprozess und wachsen sich gewissermaßen aus. Sie können aber auch auf den Beginn einer psychischen Erkrankung oder einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung hinweisen.
„Uns geht es darum, Jugendliche, deren Verhalten ihre gesunde Entwicklung oder Gesundheit stark gefährdet, rechtzeitig positiv zu beeinflussen sowie psychische Erkrankungen, die häufig in der Pubertät ihren Anfang nehmen, in einem sehr frühen Stadium zu erkennen“, erklärt Dr. Michael Kaess, Initiator und Leiter der Ambulanz. „Je früher die Therapie beginnt, desto besser sind psychische Erkrankungen zu behandeln. Zudem kann dies vielen Patienten einen langen Leidensweg und langwierige, stationäre Therapien ersparen. Bei etwa 60 bis 70 Prozent der Jugendlichen, die sich bei AtR!Sk vorstellen und sich selbst verletzen, diagnostiziert das Team der Ambulanz eine beginnende psychische Erkrankung wie eine Depression oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Das Angebot richtet sich an Jugendliche in oder ohne Begleitung volljähriger Bezugspersonen, aber auch an Eltern. „Jeder, der sich über sein eigenes Verhalten oder das seines Kindes Sorgen macht, kann unverbindlich vorbeikommen. Dies senkt die Hemmschwelle, sich bei uns Rat und Hilfe zu suchen.“, sagt Dr. Kaess. In einem ersten Gespräch schätzen erfahrene Ärzte und Psychologen das Verhalten und die psychische Verfassung der Jugendlichen ein. Bei Bedarf wird ein Folgetermin zur ausführlichen Diagnostik und Abklärung vereinbart.
Ist eine Therapie angezeigt, stehen verschiedene Konzepte, darunter eine neuartige psychotherapeutische Kurzzeittherapie, zur Auswahl. „Gerade bei Jugendlichen ist die ambulante Therapie mit einer engmaschigen Betreuung sinnvoll und auch effektiver als die stationäre Therapie, da sie nicht aus Familie, Schule und Freundeskreis herausgerissen werden. Zudem ist die ambulante Therapie weniger stigmatisiert“, erklärt der Jugendpsychiater. Die Therapie wird im Rahmen einer Sondervereinbarung von den Krankenkassen übernommen und beginnt zeitnah. Lange Wartezeiten gibt es nicht. Je nach Befund überweist das Team auch an niedergelassene Kollegen oder leitet – bei akuter Behandlungsnotwendigkeit – eine sofortige stationäre Behandlung in die Wege.
Besteht dagegen kein Anlass für eine Therapie, werden Eltern und Jugendliche nach eingehendem Gespräch an entsprechende Beratungsstellen weiter verwiesen. „Wir lassen niemanden allein“, sagt dazu Oberarzt Kaess. Oft können die Experten aber auch Entwarnung geben, z.B. wenn Selbstmordgedanken oder selbstschädigendes Verhalten mit pubertätstypischen Krisen wie dem ersten großen Liebeskummer zusammenhängen.
[aus einer Pressenotiz der Universität Heidelberg vom 28.05.2015]